Die Entscheidung: Plancks Quantenhypothese

Im November 1899 zögerten Lummer und Pringsheim noch, sich eindeutig gegen das Wiensche Gesetz auszusprechen: "Ehe wir.jedoch.ein endgültiges Urtheil über die Gültigkeit der WIEN-PLANCK`schen Gleichung fällen, halten wir es für nöthig, die Versuche über ein größeres Temperaturintervall und Wellenlängengebiet auszudehnen."

Sie begannen aber bereits, auch die theoretischen Annahmen von Planck zur Begründung dieses Gesetzes zu hinterfragen. Letzterer bemühte sich in Kenntnis der Lummer-Pringsheimschen Messungen nochmals im Winter 1900, das Gesetz zu retten1 - es blieb seine letzte Publikation vor der neuen Strahlungsformel im Oktober 1900.

Im Februar 1900 hatten Lummer und Pringsheim ihre neuen, noch überzeugenderen Experimente der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mitgeteilt: Die Abweichungen von der Wienschen Formel erreichten an der Grenze des Meßbereiches fast 50% ! Diese dritte Arbeit erschien allerdings erst Anfang Oktober in den "Annalen der Physik", nachdem sie am 18.September 1900 vor der Versammlung Deutscher Naturforscher in Aachen nochmals darüber referiert hatten. Sie drückten sich klar aus: "Es ist somit erwiesen, daß die WIEN-PLANCKsche Spektralgleichung die von uns gemessene schwarze Strahlung für das Gebiet von 12 µ bis 18µ nicht darstellt."

Lummer selbst versuchte, ein gegenüber dem Wienschen abgeändertes Strahlungsgesetz aufzustellen. Zusammen mit Eugen JAHNKE (1863-1921), Oberlehrer an der Friedrich-Werder-Oberrealschule in Berlin, schlug er im Juli 1900 ein solches vor2, was jedoch insbesondere auf die Kritik von W.Wien stieß und durch die Plancksche Lösung schnell überholt war.

Max PLANCK (1858-1947), seit 1889 an der Berliner Universität und seit 1894 Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, arbeitete besonders auf dem Gebiete der Theorie der Wärme (Thermodynamik) und des Elektromagnetismus nach dem englischen Physiker J.C.MAXWELL, der seine berühmten Gleichungen 1864 aufgestellt hatte. Nach dem Nachweis der elektromagnetischen Wellen, von Maxwell theoretisch vorhergesagt, durch Heinrich HERTZ (1857-1894), der Lieblingsschüler von Helmholtz, um das Jahr 1885 widmete Planck sich den sog. Hertzschen Resonatoren, eine Art von Mini-Antennen zur Aussendung dieser Wellen. Deshalb konnte Planck Mitte der neunziger Jahre das Strahlungsproblem des schwarzen Körpers mit seiner thermodynamisch-elektromagnetischen Methode erfolgreich angehen: Ein schwarzer Körper war ein Hohlraum, dessen Wände bei gegebener Temperatur aus Hertzschen Oszillatoren bestehen, deren Verhalten sich als berechenbar erwies. Dadurch vermied Planck jeglichen Bezug auf den damals noch unbekannten Aufbau realer Atome als den eigentlichen Strahlungsquellen.

Nachdem Planck von 1897-1899 zunächst überzeugt war, daß einzig das Wiensche Gesetz mit den Postulaten der Physik vereinbar sei, begann er um die Jahreswende 1899/1900 unter dem Eindruck der Lummer-Pringsheimschen Resultate die Hypothesen zu überprüfen, auf denen seine bisherige Herleitung des Wienschen Gesetzes beruhte.

Dieser Prozeß der Abkehr von wesentlichen eigenen, bisher vertretenen physikalischen Grundsätzen ist in der Literatur ausführlich beschrieben worden3, auch von Max Planck selbst4: Durch die Messungen gezwungen, entschloß er sich zu einer - vorerst scheinbar unwesentlichen - Interpolation im Ansatz für die Entropie der Wärmestrahlung. In eigenen Worten 5: "Es war eine regelrechte Verzweiflungstat. Sechs Jahre hatte ich mich mit der Theorie des schwarzen Körpers herumgeschlagen. Ich hatte das Problem als grundlegend erkannt und kannte auch die Antwort. Nun mußte ich, koste es was es wolle - die thermodynamischen Hauptsätze natürlich ausgenommen - noch eine theoretische Erklärung dafür finden."

Den letzten Ausschlag für Planck gaben die Messungen von Heinrich RUBENS (1865-1922) und Ferdinand KURLBAUM (1857-1927), ebenfalls an der Physikalisch-Technische Reichsanstalt (PTR) durchgeführt, welche die nach mehrfacher Reflexion an Flußspat und Steinsalz verbleibenden Reststrahlen im IR bis zu Wellenlängen von 50 µm benutzten, um noch größere Abweichungen von der Wienschen Formel festzustellen. Als damit deren Versagen Anfang Oktober außer Frage stand, entschloß sich Planck, seine neue Strahlungsformel der Öffentlichkeit vorzustellen. Am 19.Oktober 1900 trug er darüber in jener denkwürdigen Sitzung der Physikalischen Gesellschaft vor6. Das Protokoll vermerkt7: "Hr. F.KURLBAUM berichtet nach gemeinsam mit Hrn. H.RUBENS angestellten Versuchen über die Emission langer Wellen durch den schwarzen Körper. Bei der sich an diesen Vortrag anschließenden lebhaften Diskussion spricht Hr. M.PLANCK über eine Verbesserung der WIENschen Spektralgleichung."

Noch in derselben Nacht überprüften Kurlbaum und Rubens die Plancksche Formel und fanden sie völlig korrekt. Somit nahm eine der größten Umwälzungen im wissenschaftlichen Weltbild ihren Ausgangspunkt in einem Diskussionsbeitrag zu einem physikalischen Kolloquiumsvortrag!

Max Planck gab sich mit dem "glücklich Erratenem" freilich nicht zufrieden - schon nach wenigen Wochen fand er die theoretische Begründung seines Strahlungsgesetzes8: "Aber selbst wenn die Strahlungsformel sich als absolut genau bewähren sollte, so würde sie, lediglich in der Bedeutung einer glücklich erratenen Interpolationsformel, doch nur einen recht beschränkten Wert besitzen. Daher war ich von dem Tage ihrer Aufstellung an mit der Frage beschäftigt, ihr einen wirklichen physikalischen Sinn zu verschaffen, und diese Frage führte mich von selbst zu der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Entropie und Wahrscheinlichkeit, also auf Boltzmannsche Ideengänge; bis sich nach einigen Wochen der angespanntesten Arbeit meines Lebens das Dunkel lichtete und eine neue ungeahnte Fernsicht aufzudämmern begann."

Am 14.Dezember 1900 trug Planck seine neue Theorie im Berliner Kolloquium der Physikalischen Gesellschaft vor9 - dieses Datum gilt seither als Geburtstag der QUANTENTHEORIE: Die Frequenzen der Hertzschen Oszillatoren, aus denen die Wände des schwarzen Körpers aufgebaut sind, können nicht mehr beliebig klein sein, wie nach der klassischen Physik zu erwarten, sondern dürfen eine kleinste Größe, das Energiequantum, nicht unterschreiten. Diese kleinste Einheit wird bestimmt durch eine neue Naturkonstante, das Plancksche Wirkungsquantum h.

Das Ergebnis, wonach die Strahlung in kleinsten Einheiten "gequantelt" ist, war umwälzend und löste eine wissenschaftliche Revolution, die "Quantenrevolution", aus - allerdings erst im Laufe der nächsten dreißig Jahre. In den Worten des bekanntesten Vordenkers der modernen Physik, Albert EINSTEIN10: "All meine Versuche, das theoretische Fundament der Physik diesen Erkenntnissen anzupassen, scheiterten aber völlig. Es war, wie wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre, ohne daß sich irgendein fester Grund zeigte, auf dem man hätte bauen können."

Otto Lummer kommt somit zusammen mit E.Pringsheim ein entscheidender Anteil an diesem kurzen und dramatischen Entwicklungsgang vor hundert Jahren zu: Das unbeirrte Festhalten an den präzisen Beobachtungsresultaten und der Mut, zu seiner wissenschaftlichen Überzeugung auch entgegen der Lehrmeinung allgemein anerkannter Autoritäten zu stehen, legten den experimentellen Grundstock für die Quantenkonzeption und damit die moderne Physik.


  1. PLANCK,M.: Entropie und Temperatur strahlender Wärme.- Ann. Phys., 306, 719-737 (1900)
  2. LUMMER,O. und JAHNKE,E.: Über die Spektralgleichung des schwarzen Körpers und des blanken Platins.- Ann. Phys., 308, 283-297 (1900)
  3. KUHN,T.S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen.-Frankfurt/M.,1967
    KANGRO,H.: Vorgeschichte des Planckschen Strahlungsgesetzes.-Wiesbaden, 1970
  4. PLANCK,M.: Wissenschaftliche Selbstbiographie.-Leipzig, 1948
  5. SEGRE,E.: Die großen Physiker und ihre Entdeckungen.-München, 1997, S. 549
  6. PLANCK,M.: Über eine Verbesserung der Wienschen Spektralgleichung.-Verh. Dt. Phys. Ges., 2, 202-204 (19.10.1900)
  7. PLANCK,M.: Über das Gesetz der Energieverteilung im Normalspektrum.- Ann. Phys., 309, 553-563 (1901)
  8. PLANCK,M.: Vorträge und Erinnerungen.- Darmstadt, 1975, S. 129
  9. PLANCK,M.: Zur Theorie des Gestzes der Energieverteilung im Normalspektrum.- Verh. Dt. Phys.Ges., 2, 237-245 (14.12.1900)
  10. Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher.- Hrsg.: P.A.SCHILPP, Stuttgart, 1955